„Willst du das angefangene Glas Essiggurken mitnehmen, oder soll ich es behalten?“, fragte ich Lisa, die eine unordentlich gepackte Sporttasche voller Kleider ins Wohnzimmer schleppte.
„Behalte es.“ Sie wischte sich über die Stirn, ohne aufzublicken.
„Okay. Was ist mit der Fernsehzeitschrift, willst du die?“ Ich stapfte an ihr vorbei auf den Balkon. „Was ist mit unserem Hochbeet? Und soll ich die Vorhänge abnehmen? Die sind von deiner Mutter.“
Als ich wieder an ihr vorbei ins Badezimmer traben wollte, packte sie mich am Arm. „Sven, setz dich.“
Ich setzte mich, und Lisa ging vor mir in die Hocke.
„Ich weiss, dass das schwierig ist für dich“, sagte sie. „Und ich verstehe, dass du auf Zeit spielen willst, um es mir schwerer zu machen. Aber wir ziehen das jetzt durch.“
„Es kommt mir vor, als ob du vor mir fliehst, wenn du so zack zack das Nötigste einpackst und gehst.“
„Sieh es andersrum“, erwiderte sie. „Wenn ich alles mitnähme, das nicht angenagelt ist, sähe das dann noch danach aus, als ob ich irgendwann zurückkehren wollte?“
Ich seufzte. „Wie lange wird die Pause dauern?“
„Solange wie nötig. Ich kenne dich: Wenn ich dir eine Frist nenne, versuchst du bloss, die Sache auszusitzen.“
„Pff.“
„Ich schlage vor, wir treffen uns jeden Monat auf ein Dienstags-Date und erzählen uns gegenseitig, wie es uns ergangen ist. Und irgendwann, vielleicht schon in zwei Monaten, vielleicht erst in einem Jahr, erklären wir die Pause für beendet. Einverstanden?“ Sie streckte mir die Hand hin.
Widerwillig schlug ich ein.
Wir besprachen, was wir Freunden und Bekannten sagen würden, wenn sie nachhakten, wo denn der Sven bzw. die Lisa seien, wenn wir irgendwo alleine aufkreuzten. Engen Freunden würden wir von der Pause erzählen, flüchtigen Bekannten würden wir eine Ausrede auftischen. Und die Grauzone dazwischen würden wir mit „es ist kompliziert“ abspeisen und sie ihre eigenen Schlüsse ziehen lassen.
Unter der Tür beschloss Lisa, dass sie die Vorhänge doch gerne mitnehmen würde. Da sie eher kleingewachsen war, machte ich mich daran, sie abzuhängen, und ich gebe zu, ich beeilte mich nicht besonders. Sie räumte derweil die Spülmaschine ein, wohlwissend, dass ich alles umräumen würde, sobald sie gegangen war. Wir plauderten über belangloses Zeug, bis uns nichts mehr Belangloses einfiel. Ich half Lisa, ihre Taschen zum Auto zu tragen, und als ich wieder reinging und die Tür hinter mir schloss, fiel die Stille der leeren Wohnung über mich her.
Ich begann, die Spülmaschine umzuräumen. Mittendrin hörte ich auf, räumte alles zurück ins Chaos, so, wie es Lisa getan hätte, und obwohl es fast mich in den Wahnsinn trieb, schloss ich den Deckel und startete das Waschprogramm.
Ich schnappte mir die Essiggurken und kramte das zerfledderte Moleskine-Notizbuch hervor, in dem Endzwanziger-Sven seine Ideen für einen Roman festgehalten hatte – ein Roman, der die Welt verändern sollte. Auf dem sonnigen Balkon schmökerte ich in den Gedanken meines jüngeren Ichs und ass Essiggurken, bis mir übel war.
Was tut ein Mann, wenn ihm übel ist und keine Frau auf ihn Acht gibt? Er behandelt das Unwohlsein mit Bier. Nach dem ersten Bier fühlte ich mich besser, also nahm ich ein Zweites. Nach dem zweiten Bier fühlte ich mich jedoch schlechter und beschloss, mir die Beine zu vertreten.
Mein Weg führte mich ziellos nach hier und da. Das Schicksal und das Bier wollten aber am Ende, dass ich in jener Strasse landete, in der Lisas Bekannte Sandy lebte, bei der sie für die Dauer der Beziehungspause wohnen wollte. Ich hatte Sandy noch nie getroffen und kannte auch nicht ihren Nachnamen, aber ich wusste die Hausnummer, weil ich den Notizzettel mit der Adresse gesehen hatte, als Lisa zur Post ging für den Nachsendeauftrag.
Ich stand also unten an Haus Nummer 18 und fragte mich, hinter welchem der Fenster Lisa gerade war. Die Frage wurde bald beantwortet: Lisa trat lachend auf den linken Balkon im zweiten Stock, in der Hand ein Glas Sekt oder Prosecco. Hinter ihr her folgte ein bärtiger Mann Marke Badehosenmodel, ebenfalls lachend, ebenfalls mit einem Aperitif bewaffnet.
Ich kam nicht dazu, mich zu fragen, ob das Sandys Freund sei, oder ob Sandy vielleicht auch für Sandro stehen mochte, da krallte sich Lisa den Modelmann am Kragen und küsste ihn innig.
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