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9 – Die Hütte

Es herrschte auch an meinem letzten Abend wieder Trubel im Hause Montero. Als sich Cecilia um zehn Uhr in die Hütte davonmachte, wartete ich noch eine halbe Stunde ab und verabschiedete mich dann von den Gästen. Unter dem strengen Blick von Hugos Vater schlenderte ich in Richtung Gästestube, schlüpfte aber flink die Treppe hinunter, als ich ausser Sicht war, und verliess das Bauernhaus.

Auf leisen Sohlen tippelte ich der Aussenmauer entlang. Es war eine finstere Nacht; Mond und Sterne verbargen sich hinter einer Wolkendecke. Ich nahm zur Sicherheit trotzdem einen Umweg, damit mich Emilio beim Blick aus seinem Stammfenster nicht erspähte. Ich duckte mich in die Schatten und lief hinüber zum Schafstall. Dort atmete ich durch.

Die Tiere schienen meine Anwesenheit zu spüren: Ein Schaf blökte die Frage, ob das wohl ein Wolf sei, der sich draussen vor dem Stall herumtrieb, und weitere Schafe stimmten in die Frage mit ein. Ich hastete weiter, bevor sich der Chor vergrösserte.

Cecilias Hütte hatte eine Tür und ein Fenster, bei dem die Läden zugezogen waren. Aus den Ritzen entlang von Tür- und Fensterrahmen drang Licht nach draussen, sodass ich mich in der Dunkelheit orientieren konnte. Ich lief geduckt über die Wiese, presste mich neben dem Fenster an die Wand und gönnte meinem hämmernden Herz eine Pause.

Aus der Hütte hörte ich Cecilias Stimme. Sie sprach Englisch und schien mit jemandem zu telefonieren: Immer wieder hörte ich sie etwas sagen, dann kam eine kurze Pause der Stille, dann sprach Cecilia wieder. Etwas fiel auf den Boden, kullerte umher, und Cecilia begann, etwas zu erklären.

Ich konnte einzelne Worte verstehen: Batterie – fallen lassen – wenn sie aufspringt – leer. Wieder fiel etwas auf den Boden und Cecilia sagte: „Diese ist voll.“

Was zum Geier lief da drinnen ab? Ich wollte mehr verstehen, und vor allem wollte ich etwas sehen. Ich schob mich der Wand entlang zum Fenster. Mit den Händen formte ich einen Trichter, um meine Augen abzuschirmen, und spähte durch den Spalt.

„Kommen wir zum Nächsten, das ich euch zeigen will“, sagte Cecilia. Ich konnte sie jetzt besser verstehen, aber ich sah noch nichts, weil sich meine Augen erst an das Licht im Innern der Hütte gewöhnen mussten.

„Ihr kennt das bestimmt“, sagte Cecilia. Ich erkannte ihre Silhouette, als sie sich auf einen Schemel setzte und einen Schuh auszog. „Euer Ehering rutscht zufällig vom Finger“, sie lachte mädchenhaft, „und kullert zwischen zwei Dielenbretter. Keine Chance, da wieder ranzukommen.“ Sie zog ihren Strumpf aus. Die Bewegung hatte etwas Erotisches an sich, und meine Augen begannen zu brennen, weil ich vergass, zu blinzeln.

„Oder eure Kinder werfen beim Monopoly den Würfel vom Tisch, und der rollt prompt in den schmalen Spalt hinter dem schweren Schrank. Was tun?“ Cecilia stand auf, eine Wade nackt, und ging in die Ecke des Raumes.

Ich konnte mittlerweile mehr erkennen: Zwei Computerbildschirme auf einem Tisch, davor ein Mikrofon und eine Webcam. Auf dem Boden lagen zwei Batterien. Cecilia war alleine in der Hütte.

Sie zerrte einen Staubsauger an seinem Rohr in die Raummitte. „Bei vielen verlorenen Gegenständen ist der Staubsauger die einzige Lösung, um sie zu bergen. Aber wer will seinen Ehering aus einem Haufen Staub und Spinnenbeinen angeln?“ Sie stülpte den ausgezogenen Strumpf über das Ende des Rohrs. „Mit diesem Trick könnt ihr euch das ersparen.“ Sie hielt das Rohr vor die Webcam. „Ihr braucht bloss einen reissfesten Strumpf, und schon habt ihr ein saugendes Sieb gebastelt. Ich demonstriere euch das an der Batterie vom vorherigen Life-Hack.“

Ich drehte mich vom Fenster weg und lehnte mich gegen die Wand. Das also tat sie in der kleinen Hütte: Sie war eine YouTuberin, die der Welt Alltagstricks präsentierte. Aber warum die Geheimniskrämerei? Schämte sie sich für dieses Hobby? Empfand sie es als Doppelleben, als zu starken Gegensatz zu ihrer Rolle als Bäuerin?

Drinnen verstummte das Heulen des Staubsaugers. „Einen letzten Trick habe ich heute Abend noch auf Lager“, sagte Cecilia. „Ich dachte erst, er fällt ins Wasser, aber dem Anschein nach klappt er doch.“

Ich drehte mich wieder ans Fenster und formte den Augentrichter.

„Privatsphäre ist etwas Wichtiges heutzutage“, sagte Cecilia. „Wenn ihr den Verdacht hegt, jemand liest euer Tagebuch, was tun?“ Sie zog beim Sprechen ihren Strumpf wieder an. „Oder wenn ihr wisst, eines eurer drei Kinder stiehlt Schokolade, und ihr wollt herausfinden, welches, was dann? Wie überführt ihr den Missetäter zweifelsfrei?“

Ich musste ganz genau hinsehen, um zu erkennen, was Cecilia tat. Sie richtete die Webcam aus, sodass sie mehr in Richtung Fenster wies. Ich runzelte die Stirn und bekam ein flaues Gefühl im Magen.

„Viele Lebensmittel weisen färbende Eigenschaften auf. Rote Bete zum Beispiel, oder Kurkuma. Auch Spinat kann sich eignen.“ Cecilia griff nach einer Taschenlampe. „Schmiert etwas eingedickten Absud davon an den Griffknopf eures Nachttischs, oder ans Papier der Schokolade, und legt euch dann auf die Lauer. Welches Kind rennt als Erstes zur Spüle, um die Spuren seiner Tat zu beseitigen?“ Beiläufig bewegte sich Cecilia in Richtung Fenster.

„Auch Lauscher und Spanner sind vor diesem Trick nicht sicher“, rief sie vom Fenster zum Mikrofon hinüber. „Schauen wir uns das mal an.“

Bevor ich begriff, wie mir geschah, riss Cecilia die Fensterläden auf und zündete mir mit der Taschenlampe mitten ins Gesicht.

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