Die Midlife-Krise kam nicht mit dem ersten grauen Haar, wie es das Klischee besagt. Sie kam auch nicht in jener finsteren Nacht, als das Stehaufmännchen zwischen meinen Beinen hartnäckig den Sitzstreik probte. Und sie kam nicht an meinem vierzigsten Geburtstag, als mein Bruder Ron mir einen zerzausten Jutebeutel schenkte mit den Worten „ein alter Sack für einen alten Sack“. Im Beutel waren eine Flasche Whisky, ein Prospekt mit Flusskreuzfahrten und eine Haftcreme für künstliche Gebisse.
Ich erwartete den Ausbruch der Krise, als mein Mentor Werner starb. Er hatte mir den Job bei der Luzerner Zeitung vermittelt, nachdem ich meine Schriftstellerkarriere für tot erklärt hatte. Werner war mein Deutschlehrer gewesen und hatte sich zum väterlichen Freund entwickelt. Die traurige Botschaft erreichte mich an einem Freitag. Ich heulte, ich trank, ich kramte alte Schulaufsätze hervor und las seine witzigen Anmerkungen neben meinen Texten. Das Wochenende verbrachte ich an der Playstation und zockte wie ein Gestörter: Ich rettete einmal die Welt, einmal Mittelerde und zweimal das Reich des Zwiebelkönigs. Am Montag sass ich dann um 6:55 Uhr auf meinem Sessel in der Redaktion und lebte mein Leben weiter wie zuvor.
Meine Freundin Lisa hätte die Krise schon ein paar Monate früher erwartet, als wir die Kinderwunschbehandlung abbrachen. Medizinisch betrachtet war bei uns beiden alles in Ordnung, es wollte einfach nicht einschlagen. Unsere Nachbarin Monika, die immer über Dinge Bescheid zu wissen glaubte, die sie einen Dreck angingen, fing uns im Treppenhaus ab und erklärte uns, das könne ja nicht klappen, solange wir nicht verheiratet seien. Nicht wegen der Religion und so, nein, aber man müsse das Kind halt um jeden Preis wollen, sonst nütze alle Medizin der Welt nichts. Ich steckte es mit einem Grinsen weg, doch Lisa nahm es weniger gelassen und schmuggelte der Nachbarin eine Knoblauchzehe in die Waschmaschine. Natürlich glaubt Monika heute noch, ich sei der Übeltäter gewesen, obwohl einem Mann – selbst einem mit Schriftstellerallüren – der Angriff auf eine Waschmaschine nicht im Traum einfiele. Und Lisa glaubte damals, der Spruch der Nachbarin (oder wohl eher der verwehrte Kinderwunsch) hätte meinen männlichen Stolz so tief gekränkt, dass ich in ein Loch fallen würde.
Dieser Stolz wurde dann tatsächlich auf die Probe gestellt: Ich traf mich mit Ron zu unserem monatlichen Bruderbier im Irish Pub. Ron ist acht Jahre jünger als ich und zieht Frauen an wie ein Ausverkaufsschild vor dem Schuhladen. Meine bisherigen sexuellen Kontakte lassen sich an einer Hand abzählen – der Hand eines verstümmelten Piraten – während Ron mit seinen Eroberungen ein Panini-Album füllen könnte. Wir waren am dritten Guinness, als dieses Küken daherkommt. Ich könnte schwören, sie lebt im gleichen Quartier wie Lisa und ich, und hat noch im Sandkasten gespielt, als wir vor elf Jahren hergezogen sind. Sie flirtet mit Ron – ihn duzt sie, mich siezt sie – und als ich zur Toilette gehen will, höre ich sie zu ihm sagen, das sei ja toll, dass er so ein gutes Verhältnis zu seinem Vater habe. Der Abend gefiel danach nur noch Ron, der mich bei der Rückkehr mit einem lauten „Hey Paps“ empfing und mich so lange mit der Sache aufzog, bis das Küken und ich gestaffelt die Flucht ergriffen. Doch selbst diese schmerzliche Episode löste in mir nicht den Drang aus, ein Cabrio zu leasen und Hawaiihemd mit Sonnenbrille zu tragen.
Ich hätte die Midlife-Krise wohl übersprungen und wäre ungebremst auf den Ruhestand zugeschlittert. Doch dann, vor einer Woche, ereilte mich das Schicksal des Mannes mittleren Alters auf ungewöhnliche Weise: Die Krise wurde mir verordnet.
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