„Ich will eine Beziehungspause“, sagte Lisa zu mir.
Wir sassen im Strassencafé, ein leerer Eisbecher vor mir, ein unberührter Eisbecher vor Lisa. Am Nebentisch sass eine Mutter mit zwei Kindern: Das ältere Kind spielte mit seinem Essen, das jüngere Kind ass sein Spielzeug, und ihre Mama klagte lautstark am Handy darüber, wie schwer das Mutterdasein doch war.
„Du machst Schluss?“, fragte ich entgeistert. Da musste ich mich in der Tirade unserer Tischnachbarin verhört haben! Wir waren schon so lange zusammen, ich hätte doch gemerkt, wenn Lisa unzufrieden war in unserer Beziehung. Vor einer Minute hatte ich mich noch gefragt, ob sie mir das Eis überliesse, auch wenn es ausgerechnet Erdbeere sein musste, und nun dies? Beziehungspause bedeutete Trennungs-Leasing, Schlussmachen auf Raten, das wusste man.
„Ich sagte Pause“, antwortete Lisa. „Ich will mit dir zusammensein, Sven, aber in letzter Zeit habe ich … hör auf, auf meinen Eisbecher zu starren!“ Lisa funkelte mich an und stellte ihr Dessert auf den leeren Stuhl neben ihr.
„Ich verstehe nicht, woher das plötzlich kommt. Was ist passiert?“
„Nichts ist passiert. Das ist der Punkt, Sven.“ Lisa nahm meine Hand. „Sag, wo war ich am Freitagabend?“
„Bei Julia, ihr seid zum Bowling gegangen“, antwortete ich sofort. Diesen Test würde ich bestehen! Ich war ein guter Freund, ich hörte zu, wenn sie mir etwas erzählte. „Sie hat den halben Abend von ihrem neuen Job geschwärmt, und du bist kaum zu Wort gekommen.“
„Richtig. Wo war ich am Samstag?“
„Du hast deine Eltern besucht und ihnen im Garten geholfen. Deine Mutter hat Brownies gebacken und dein Vater hat dich bekniet, mich zu verlassen – wieder mal – und, … hey, machst du deswegen Schluss?“
„Ich mache nicht Schluss. Und nein, Pa hat nichts damit zu tun. Nächste Frage: Wo war ich am Sonntag?“
Ich dachte nach. Ich ging im Geiste Lisas Freundeskreis durch, ihre Hobbies, ihre Gewohnheiten. Mein Blick wanderte zum Nebentisch und begegnete den Augen des älteren Kindes. Verzweiflung war darin zu lesen: Der Junge sass vor einer kalten Portion Chicken Nuggets, die ganz offensichtlich zu gross für ihn war, und seine kleine Schwester schlug unkoordiniert ihre zerkaute Puppe gegen seinen Arm, sodass der Sabber nur so spritzte. Die Mutter plärrte immer noch in ihr Handy. Schliesslich fiel mir ein, was Lisa am Sonntag gemacht hatte: „Wir waren zuhause. Netflix and chill.“
Lisa nickte. „Letzte Frage: Weshalb weisst du so genau, was ich getan habe, wenn ich weg war, aber musst so lange nachdenken, wenn wir zusammen Zeit verbracht haben?“
Ich stutzte.
„Ich sage es dir, Sven. Weil wir nichts mehr tun. Wenn ich weg bin, blühst du auf: Du schreibst, du zockst, du räumst singend die Wohnung auf, du gehst raus und triffst Freunde. Aber wenn ich da bin, wirst du zu diesem braven, ausgehöhlten Wesen, das neben mir sitzt und lächelt und zuhört und ausharrt, bis ich wieder gehe, damit du in Ruhe weiterleben kannst.“
„Das stimmt doch nicht, ich …“
„Ich bin mit einem Schosshund liiert!“, zischte Lisa.
Wir verstummten. Die Frau am Nebentisch keckerte und erzählte etwas von Windeln. Den Seufzer ihres Sohnes ignorierte sie, und auf sein flehendes „Mama, können wir gehen?“ erwiderte sie schroff: „Sobald dein Teller leer ist.“
„Wenn ich dich nerve“, sagte ich zu Lisa. „Wenn du mehr unternehmen willst, wenn du unglücklich bist, warum sagst du dann nichts?“
„Ich sage es ja jetzt.“
„Aber warum nicht früher? Liebst du einen anderen?“, fragte ich, obwohl ich wusste, dass Lisa nicht der Fremdgeh-Typ war.
Empört liess Lisa meine Hand los. „Ja“, fauchte sie. „Ich liebe einen Kerl, der ist etwa dreissig, ein angehender Schriftsteller, er hat einen bescheuerten Namen mit S, aber ich werde mit ihm zusammenziehen, obwohl Pa behauptet, der Kerl sei der Teufel.“
„Sorry.“
„Verstehst du nicht, warum ich diese Pause will?“, sagte Lisa. „Ich liebe dich. Aber wenn wir weiterleben wie bisher, ich schwöre, dann geht diese Liebe zugrunde. Dein Leben ist eingeschlafen, Sven. Manchmal frage ich mich, ob du in dir drin überhaupt noch was fühlst.“
„Wie meinst du das? Du warst da, als ich wegen Werner geweint habe.“
„Ja, und ich war auch da, als du am Tag danach an der Playstation gehockt und gebrüllt hast „für den Zwiebelkönig!“ und in die Küche gerufen hast, ob wir noch mehr Chips da hätten.“
Ich setzte dazu an, die komplizierte Gefühlswelt des Mannes zu verteidigen, liess es dann aber sein. Wieder begegnete ich dem verzweifelten Blick des Jungen.
„Moment kurz“, sagte Lisa zu mir. Offenbar hatte sie das stille Leiden am Nebentisch auch registriert. Sie stand auf, ging zu der Mutter hinüber, und raunte ihr mit ernster Miene ein paar Sätze zu. Lisa war noch nicht zurück an ihrem Platz, da hatte die Mutter bereits aufgelegt und den Kellner gerufen, um die Rechnung zu bezahlen.
„Was hast du zu ihr gesagt?“ fragte ich.
Lisa wartete, bis die Mutter mit ihren Kindern aus dem Café geflüchtet war. Dann lehnte sie sich vor und raunte verschwörerisch: „Ich habe ihr erzählt, du arbeitest in einer Kinderkrippe und hättest gerade eine Whatsapp erhalten, bei einem Kind seien Läuse entdeckt worden. Sie solle ihre Kinder gut untersuchen heute Abend.“
Ich musste lachen. Das Gefühl des Triumphs verflog jedoch schnell, als ich den altbekannten Schmerz in Lisas Züge schleichen sah.
„Wieso bekommen immer die falschen Leute Kinder?“, sagte sie leise.
Ich rutschte näher zu ihr und legte den Arm um sie. Ich verkniff mir jegliche Erwiderung, denn keine hätte geholfen. Nach einer Weile riss sich Lisa zusammen, hob den Eisbecher zurück auf den Tisch und begann, die geschmolzene Masse zu löffeln. „Fürs Protokoll“, sagte sie, „ich glaube wirklich, dass uns eine Pause gut tun würde.“
„Und was stellst du dir vor, wie diese Beziehungspause aussehen soll?“, fragte ich.
„Nimm ein Sabbatical und schreibe das Buch zu Ende, das du damals angefangen hast. Kauf ein Motorrad und fahr den Gotthard rauf und runter. Vögel dich quer durch die Schweiz, wenn du willst. Hauptsache, du erwachst aus deinem Todesschlaf.“ Lisa strich sich eine Strähne aus der Stirn. „Ich verordne dir hiermit Kraft meines Amtes eine Midlife-Crisis.“
„Was, wenn ich dir sage, dass ich diese Pause nicht will? Dass ich dich liebe und mit dir zusammensein möchte?“
Lisa zögerte. Sie kramte in ihrer Handtasche, legte einen Fünfziger auf den Tisch und stand auf. „Dann mache ich eben Schluss.“
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