Ich heisse Sven, doch das war nicht immer so. Meine Eltern schenkten mir nämlich nicht nur das Leben, sondern auch den ungewöhnlichen Vornamen Svalbard. Svalbard ist der nordische Name der Inselgruppe Spitzbergen, die meine Eltern nie im Leben besucht haben und auch sonst keinerlei Verbindung zu ihr aufweisen. Man möchte meinen, wer sein Kind so tauft, hat einen bizarren Humor und verspürt einen gewissen Hass auf den Neuankömmling. Keines von beidem war der Fall.
Meine Eltern sind gewöhnliche Menschen – vor allem, was ihren Humor angeht. Sie liebten mich durchaus, und das äusserte sich in meinem Namen: Ich war für sie so etwas Besonderes, dass sie die Vorstellung nicht ertrugen, mir einen Allerweltsnamen wie Stefan oder Andreas zu geben (sorry an alle Steffs und Andis da draussen). Der exquisite Name zog exquisite Erwartungen nach sich: Ich hiess aussergewöhnlich, also sollte ich auch Aussergewöhnliches tun. In meiner Kindheit taumelte ich hin und her zwischen dem Wunsch, meine Eltern glücklich zu machen, und dem Bedürfnis, so zu sein wie die anderen Kinder.
Konkret bedeutete dies, dass ich von meiner Mutter jede Woche zweimal durch den halben Kanton zum Fechtunterricht gefahren wurde, weil es unvorstellbar gewesen wäre, dass Klein-Svalbard Fussball gespielt hätte wie die anderen Kids. Und es bedeutete, dass ich der einzige Zehnjährige zwischen Zürich und Zermatt war, der sein Taschengeld im Waschsalon verprasste: Ich ging nämlich sehr wohl Fussball spielen, stets mit zwei identischen Shorts und Shirts im Gepäck. Die Schmutzigen brachte ich auf dem Nachhauseweg in die Wäscherei, wo ich mich im Hinterzimmer umziehen durfte und sogar einen Waschlappen erhielt, um meine Schienbeine zu polieren.
Mein Bruder Ron wurde übrigens auf den Namen Rodingard getauft. Er versuchte jedoch nie, unseren Eltern zu gefallen oder etwas für sie zu sein, das er nicht war. Als er acht war, kam es zum Machtkampf zwischen Mutter und ihm. Er wollte ab sofort Ron genannt werden, und sie redete ihn störrisch mit Rodingard an. Er setzte sich durch, indem er jedesmal, wenn sie ihn so nannte, eine Tasse, einen Teller oder eine Vase zerdepperte, bis sich unsere Eltern irgendwann sagten, dass sein Name nicht etwas Besonderes sein musste, wenn er durch seine Zerstörungswut bewies, dass er auf andere Weise aussergewöhnlich war.
Die Episode mit meinem Bruder führte dazu, dass sich meine Eltern noch stärker auf mich konzentrierten. Ich war damals sechzehn, und die Reibungen begannen sich zu häufen. Ich besass allerdings nicht das Durchsetzungsvermögen meines Bruders, und so kam es irgendwann zum Bruch zwischen ihnen und mir. Am Tag nach meinem achtzehnten Geburtstag zog ich aus – mit der Wäsche hatte ich ja bereits Erfahrung.
Wir können zwar vor unseren Eltern, unseren Partnern oder unseren Freunden fliehen. Was wir jedoch nicht können, ist, vor uns selbst davonzulaufen. Ich pendelte auch nach meinem Auszug hin und her zwischen den zwei Extremen des Normalseins und des Besondersseins. Zu sehr hatte ich mich daran gewöhnt.
Zur Ruhe kam das Pendel erst, als ich Lisa traf. Bei Lisa musste ich mich nicht verstellen, ich war, wie ich war, und sie liebte mich dafür. Doch was ich als wohltuende Ruhe nach einem unaufhörlichen Sturm geniesse, empfindet sie nun offenbar als Stillstand.
Na gut, wenn Lisa diese Pause braucht, so werde ich mich fügen. Vielleicht schreibe ich ja tatsächlich weiter an meinem Buch. Ein Motorrad kaufe ich mir lieber nicht – beim Zivildienst im Spital habe ich oft genug gesehen, was für hässliche Verletzungen Motorradunfälle verursachen. Und das mit dem Rumvögeln passt nicht zu mir, das überlasse ich Ron.
Nein, ich glaube, ich werde diese Beziehungspause einfach aussitzen.
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